Man hört ja immer und überall von
diesen romantischen Zugfahrten. Jenen Fahrten mit klassischen Loks, vorbei an
einer idyllischen Landschaft und voll kulinarischer Genüsse. Und irgendwie will
ich ja auch glauben, dass es so etwas gibt. Allein, wer viele Jahre tagtäglich
mit dem deutschen Pendant unterwegs ist, der kennt nur Gelenkschmerzen, wüstes
Geschrei und kulinarische Totalausfälle. Wie schön also, dass Helmut Ohley mir nun
endlich zeigt, dass eine Reise First Class (Hans im Glück) wirklich
beeindruckend sein kann.
Nicht zuletzt aufgrund des Autors
und des Themas wurde First Class bereits vor seinem Erscheinen als „Russian
Railroads - Das Kartenspiel“ tituliert. Und auch wenn diese Bezeichnung
durchaus einiges an Wahrheit enthält, bietet das fertige Spiel doch so viel
mehr.
Unsere
Züge
Wie es sich für ein Spiel
von Helmut Ohley gehört, dreht sich auch hier mal wieder alles um Züge. Gleich
zwei davon bekommt jeder Spieler, auch wenn diese anfänglich noch etwas mickrig
aussehen. Gerade einmal ein minderwertiger Waggon pro Zug wird dazu rechts an
unser Tableau angelegt. Diese zu Verlängern und die Qualität der Waggons zu
steigern ist eines unserer möglichen Ziele. Denn nur echte Luxuswaggons
versprechen einen wahren Punkteregen und ausschließlich besonders lange Züge
erreichen das lukrative Konstantinopel. Doch auch die Schaffner sollten wir
darüber nicht vergessen. Denn nur wenn sie den Zug entlangwandern wirft dieser
am Ende ordentlich Punkte ab.
Unsere
Fahrstrecke
Eigentlich bietet bereits
der Zugausbau mehr als genug Arbeit um uns für einige Zeit zu beschäftigen.
Sollte man meinen. Aber nein, auf dem Tableau befindet sich obendrein auch noch
eine kleine Miniaturlok, die nur darauf wartet über Streckenkarten bewegt zu
werden um Punkte und Boni zu sammeln. Streckenkarten, so viel versteht sich
fast von selbst, die natürlich wiederum erst einmal besorgt werden wollen. Noch
nicht einmal etwas Geld bekommen wir für all die Mühen. Nein, all die Frances
müssen wir auch noch selbst einsammeln und auf unser Tableau legen. Immerhin
können wir diese dann für allerlei nützliche Funktionen nutzen und etwa den
Schaffner bewegen oder die Lock weiterfahren lassen.
Die
Auswahl
So, genug zu tun haben wir
damit also schon einmal. Bleibt die Frage, wie wir das alles in der kurzen Zeit
schaffen. Denn eigentlich spielen wir ja nur sechs Durchgänge mit jeweils drei
Aktionen (Karten). Die Antwort: Gar nicht. Denn bei First Class ist
Spezialisieren angesagt. Die uns gegebenen Möglichkeiten liegen dabei stets in
Form von (anfänglich) 18 Karten vor uns aus. Unsere Aktion besteht stets nur
daraus, eine dieser Karten zu nehmen und auszuführen. Natürlich werden die
Karten im Laufe des Spiels stärker und damit spannender, im Wesentlichen ändert
sich an diesem Vorgehen aber nichts. Was genau ist also auf diesen Karten zu
finden? Wenig überraschend all das, was ich bereits oben kurz angesprochen
habe. Ihr könnt den Zug verlängern, Waggons ausbauen oder der Schaffner
bewegen. Geld kann gesammelt werden, Strecken verlängert oder die Lock bewegt.
All das natürlich noch in verschiedenen Abstufungen und Kombinationen. Für
Abwechslung ist also gesorgt.
Die
Punkte
Dreimal im Spiel (nach
jeweils sechs Karten) wird euer Fortschritt überprüft und Punkte ausgeschüttet.
Wobei, zuerst einmal gibt es einige Sondereffekte. Denn jedes Sonderfeld dass
euer Zug bisher auf seiner Route überschritten hat, bietet nun eine Belohnung
in Form von Extrabewegungen, Waggons oder Ähnlichem. Erst danach gibt es
Punkte. Und dabei lohnt sich insbesondere ein gut ausgebauter Zug, punktet doch
jeder Waggon der vom Schaffner passiert wurde gemäß seines Wertes. Zusätzliche
Sonderkarten, die natürlich auch hier einen Einfluss haben, verschweige ich an
dieser Stelle einfach mal. Und als würde das noch nicht ausreichen, werden nach
der dritten Runde auch noch Spielende-Karten ausgewertet, die wir unterwegs
sammeln konnten. Diese bringen Punkte für verschiedene Karten, womit etwa
gesammelte Schaffner oder Lok-Bewegungen am Ende noch einmal richtig lukrativ
werden können.
Die
Module
In den meisten Spielen
würde ich die Erklärung an dieser Stelle beenden. Genug zu tun gibt es ja schon
jetzt und wahrscheinlich hat sowieso niemand bis hierhin gelesen. Der
Vollständigkeit halber sollte aber vielleicht noch erwähnt werden, dass ich den
wesentlichen Teil von First Class bislang komplett unterschlagen habe. Denn dem
Spiel liegen insgesamt fünf Sets an Modulkarten bei. Von diesen werden in jeder
Partie zwei Sets zu den Basiskarten gemischt und bilden damit die stets
unterschiedliche Auslage. So bieten etwa manche Sets Aufträge, die bei
Erfüllung besonders lukrative Belohnungen versprechen. Andere Sets machen
Waggons mittels prominenten Passagieren lukrativer oder ermöglichen den
Transport von Gepäck und Passagieren für Siegpunkte oder Geld. Zuletzt wartet
sogar ein waschechter Mord und dessen Aufklärung auf uns. Und das Schlimmste:
Einer von uns ist der Täter. Und wenn wir der Tat überführt werden, helfen auch
alle Siegpunkte der Welt nichts mehr…
Fazit
Das First Class kein spielerisches Leichtgewicht
ist, das sollte bereits aus obiger Beschreibung hervorgegangen sein. Und daran
ändert auch nichts, dass es sich im Kern eigentlich um ein reines Kartenspiel
handelt. Das Besondere allerdings ist, dass es trotz der vielfältigen Optionen
überraschend einfach zu erlernen ist. Im Grunde nehmen wir jede Runde nur eine
Karte und führen die Aktion aus. Ab und an wird für eine Wertung unterbrochen
und nach rund 60 Minuten (bei vier Spielern) sind wir durch. Da kommt kein
Leerlauf auf, keine Wartezeiten und schon erst recht keine Langeweile. Selbst
ohne die Module bietet First Class reichlich Abwechslung, mit den Modulen gibt
es auch nach einem Dutzend Partien noch reichlich zu entdecken. Ihr seht schon,
First Class hat es mir wirklich angetan. Dass ein Spiel einerseits so eingängig
und andererseits so vielfältig ist, das ist aber auch aller Ehren wert.
Natürlich habe ich aber auch bei
First Class dennoch etwas zu meckern. Und zwar zum einen die Karten und deren
Symbolik. Diese fällt häufig doch etwas klein und überladen aus, was allerdings
wohl dem (bereits jetzt recht großen) Platzbedarf geschuldet sein dürfte. In
dieser Form kommt es aber in den ersten Partien immer mal wieder vor, dass über
Symbole gegrübelt wird oder Unsicherheiten aufkommen. Darüber hinaus konnte uns
das Mord-Modul absolut nicht überzeugen. Dass ein Spieler schlicht aus der
Wertung ausscheidet ist doch etwas zu extrem und funktioniert zu zweit schlicht
überhaupt nicht. Zum Glück bleiben ja noch vier weitere Module. Und mit diesen
gehört First Class für mich zu den absoluten Highlights der vergangenen Monate.
Die kleinen Karten haben mich auch sehr enttäuscht,
AntwortenLöschenweil die Atmosphäre,
die diese (Waggon-)Karten durch ihre tollen, Geschichten erzählenden Bilder verbreiten KÖNNTEN,
durch die Winzigkeit der Darstellungen überhaupt nicht zur Geltung kommt.
Grund für die Winzigkeit der Karten ist - wie Du schon geschrieben hast - sicher die Gesamtzahl an ausliegenden Karten und der damit verbundene Platzbedarf.
Trotzdem schade.
@Daniel:
LöschenKleine Rechnung: Normalkartenbreite ist 59mm. Bei FirstClass liegen typischerweise rechts 9 Karten, links 133-6. Macht bei Verwendung von Normalkartenformat einen Platzbedarf von mehr als 75cm nur für Karten. Dazu kommen dann noch Basetableau, Lok-Kärtchen. Macht eine Auslage von locker 80-90 cm pro Nase. Und Abstand zum Nachbarspieler braucht man auch noch. Vom Platzbedarf für die Auslage in der Mitte mal ganz abgesehen. Auf welchem Tisch willst du das mit vier Personen spielen? :-D
Fakt ist: Selbst mit den kleinen Karten braucht FirstClass auf einem normalen Tisch schon grenzwertig viel Platz. Größere Karten würden jede Praktikabilität zerstören.
Tippfehler oben: Muss natürlich 3-6 heißen ...
LöschenEigentlich finde ich so kleine Karten gar nicht weiter schlimm. In diesem Fall sind sie aber obendrein etwas (zu) überladen. Ist aber schon Jammern auf hohem Niveau.
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