Sonntag, 14. März 2021

Tapestry

In Zeiten von Crowdfunding sind pompös ausgestattete Brettspiele sicherlich keine Seltenheit mehr. Und dennoch schafft es Tapestry (Jamey Stegmaier / Feuerland), selbst in diesem Umfeld noch einmal einen drauf zu setzen. 18 bemalte Gebäude, 16 grundverschiedene Fraktionen und ein Gesamtgewicht von annähernd 3 kg. Schon mit dem Durchforsten des Spielmaterials kann man sich stundenlang beschäftigen. Umso überraschender, dass das Werk für ein Zivilisationsspiel mit sehr wenigen Regeln auskommt.
 
 
 
 
 
 
 
Eine Zivilisation aus vier Leisten
Thematisch übernehmen wir in Tapestry eine Zivilisation, erforschen neue Regionen und Technologien und entwickeln kulturelle Fortschritte. Allerdings sollte an dieser Stelle direkt erwähnt werden, dass das Thema nur am Rand zu erkennen ist. Und zwar am Rand des Spielplans. Denn dieser besteht aus vier Skalen, die dem eigenen Fortschritt in verschiedenen Kategorien entsprechen. Allen Leisten gemein ist, wie wir auf diesen voranschreiten. Stets zahlen wir eine zunehmende Anzahl an Ressourcen und führen den Effekt des Zielfeldes aus. So erkunden wir auf der blauen Leiste unsere direkte Umgebung auf der Landkarte, mit rot erobern wir die dortigen Landstriche. Gelb verspricht dagegen Technologie-Karten und damit allerlei Boni. Je weiter wir voranschreiten, desto teurer werden die Schritte und desto lukrativer sind die Belohnungen.
 
 
Der Wechsel einer Ära
Früher oder später gehen uns auch bei Tapestry die Ressourcen aus. Dann wird es Zeit für den Aufstieg in eine neue Ära und einen Blick auf das Einkommenstableau. Auf diesem befinden sich zu Beginn des Spiels verschiedene kleine Gebäude, die wir über die Aktionsleisten in unserer Hauptstadt platzieren. Je erfolgreicher wir dabei sind, desto mehr Punkte und Ressourcen bekommen wir beim Wechseln einer Ära. Neben den Punkten und Ressourcen ermöglicht uns der Wechsel einer Ära auch das Spielen einer Gobelin-Karte, die sofortige und dauerhafte Effekte verspricht. Insgesamt führt jeder Spieler vier Wertungen durch, wobei der Zeitpunkt beliebig gewählt werden darf. Entsprechend endet das Spiel für jeden Spieler auch zu unterschiedlichen Zeiten.
 
 
Enorme Varianz
Die unterschiedlichen Leisten, ein Stapel Gobelin- sowie haufenweise Technologiekarten sorgen bei Tapestry bereits für viel Abwechslung. Aber das war es noch lange nicht. Denn jeder Spieler bekommt vorab eine von 16 Zivilisationen, die viel unterschiedlicher nicht sein könnten. Manche fördern ein aggressives Vorgehen, oder legen den Fokus auf bestimmte Leisten. Andere offenbaren zusätzliche Wege um zu punkten oder schlicht stetige Boni. So oder so führen die Zivilisation bereits zu einem extrem unterschiedlichen Spielverlauf und sorgen dafür, dass es auch nach dutzenden von Partien noch etwas zu entdecken gibt.
 
 
Fazit
Es kommt nicht oft vor, dass mich ein Spiel so zwiegespalten zurücklässt. Dass Herz und Hirn bei einer Bewertung zu solch unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Denn ich muss ganz klar sagen: Tapestry hat einige große Schwächen. Das beginnt schon beim Material. Die Gebäude sind zwar wirklich hübsch, im Spiel aber eher ein Hindernis, das obendrein nicht mal perfekt zur Spielfläche passt. Darüber hinaus sind die Völker weit davon entfernt, ausgeglichen zu sein. Entsprechend liegen sogar Anpassungen bei, online erscheinen ständig neue Versionen. Da fühlt man sich schon ein wenig wie ein Beta-Tester. Noch schlimmer sind die Gobelin-Karten. Manche sind annähernd nutzlos, andere spülen haufenweise Punkte aufs Konto. Fair ist etwas anderes. Zuletzt mag das unterschiedliche Spielende zwar spannend klingen. Wer aber seinen Mitspielern schon mal 30 Minuten (oder mehr) beim Punkte sammeln zugeschaut hat, der wird seine Meinung diesbezüglich schnell ändern. Und das bei einem Spiel, das sowieso schon die eine oder andere Stunde dauert. Keine Frage, so ein Spiel kann nicht besonders viel taugen und wird wohl kaum erneut auf den Tisch kommen…
 
… Sollte man denken. Dann stellt sich allerdings die Frage, warum Tapestry bei mir zu den meistgespielten Spielen des vergangenen Jahres gehört. Nun, am Ende lässt sich das Spielgefühl dann eben doch nicht nur an ein paar Kritikpunkten festmachen. Und das Spielgefühl von Tapestry ist wirklich ein ganz Besonderes. Obwohl es „nur“ vier verschiedene Leisten gibt, entwickelt sich jede Partie grundverschieden. Das Optimum aus jedem Volk herauszuholen ist stets eine neue Herausforderung. Anders als bei vielen Eurogames fühlt sich hier zudem überhaupt nichts trocken an. Jede gezogene Karte, jeder Schritt auf der Skala und jeder Würfelwurf weckt Emotionen. Dabei sind die einzelnen Elemente perfekt miteinander verzahnt und bieten schier unendliche Möglichkeiten. Die Vorfreude darauf was passieren kann, die Spannung welche Wendungen das Spiel diesmal nimmt, sind auch nach dutzenden Partien noch immer zu spüren. Klar gibt es Frustmomente, nichts passt oder die Wartezeit dehnt sich einfach endlos aus. Und doch will man direkt wieder neu starten, zu groß ist die Verlockung und die Frage, was das Schicksal diesmal bereithält. Und ganz ehrlich: Schlussendlich ist es genau das, was uns immer wieder an den Tisch lockt.
 

 

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