In Zeiten von Crowdfunding
sind pompös ausgestattete Brettspiele sicherlich keine Seltenheit mehr. Und
dennoch schafft es Tapestry (Jamey Stegmaier / Feuerland), selbst in diesem
Umfeld noch einmal einen drauf zu setzen. 18 bemalte Gebäude, 16
grundverschiedene Fraktionen und ein Gesamtgewicht von annähernd 3 kg. Schon
mit dem Durchforsten des Spielmaterials kann man sich stundenlang beschäftigen.
Umso überraschender, dass das Werk für ein Zivilisationsspiel mit sehr wenigen
Regeln auskommt.
Eine Zivilisation aus
vier Leisten
Thematisch übernehmen wir
in Tapestry eine Zivilisation, erforschen neue Regionen und Technologien und
entwickeln kulturelle Fortschritte. Allerdings sollte an dieser Stelle direkt
erwähnt werden, dass das Thema nur am Rand zu erkennen ist. Und zwar am Rand
des Spielplans. Denn dieser besteht aus vier Skalen, die dem eigenen
Fortschritt in verschiedenen Kategorien entsprechen. Allen Leisten gemein ist,
wie wir auf diesen voranschreiten. Stets zahlen wir eine zunehmende Anzahl an
Ressourcen und führen den Effekt des Zielfeldes aus. So erkunden wir auf der
blauen Leiste unsere direkte Umgebung auf der Landkarte, mit rot erobern wir
die dortigen Landstriche. Gelb verspricht dagegen Technologie-Karten und damit
allerlei Boni. Je weiter wir voranschreiten, desto teurer werden die Schritte
und desto lukrativer sind die Belohnungen.
Der Wechsel einer Ära
Früher oder später gehen
uns auch bei Tapestry die Ressourcen aus. Dann wird es Zeit für den Aufstieg in
eine neue Ära und einen Blick auf das Einkommenstableau. Auf diesem befinden
sich zu Beginn des Spiels verschiedene kleine Gebäude, die wir über die Aktionsleisten
in unserer Hauptstadt platzieren. Je erfolgreicher wir dabei sind, desto mehr
Punkte und Ressourcen bekommen wir beim Wechseln einer Ära. Neben den Punkten
und Ressourcen ermöglicht uns der Wechsel einer Ära auch das Spielen einer
Gobelin-Karte, die sofortige und dauerhafte Effekte verspricht. Insgesamt führt
jeder Spieler vier Wertungen durch, wobei der Zeitpunkt beliebig gewählt werden
darf. Entsprechend endet das Spiel für jeden Spieler auch zu unterschiedlichen
Zeiten.
Enorme Varianz
Die unterschiedlichen
Leisten, ein Stapel Gobelin- sowie haufenweise Technologiekarten sorgen bei
Tapestry bereits für viel Abwechslung. Aber das war es noch lange nicht. Denn
jeder Spieler bekommt vorab eine von 16 Zivilisationen, die viel
unterschiedlicher nicht sein könnten. Manche fördern ein aggressives Vorgehen,
oder legen den Fokus auf bestimmte Leisten. Andere offenbaren zusätzliche Wege
um zu punkten oder schlicht stetige Boni. So oder so führen die Zivilisation
bereits zu einem extrem unterschiedlichen Spielverlauf und sorgen dafür, dass
es auch nach dutzenden von Partien noch etwas zu entdecken gibt.
Fazit
Es kommt nicht oft vor,
dass mich ein Spiel so zwiegespalten zurücklässt. Dass Herz und Hirn bei einer
Bewertung zu solch unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Denn ich muss ganz
klar sagen: Tapestry hat einige große Schwächen. Das beginnt schon beim
Material. Die Gebäude sind zwar wirklich hübsch, im Spiel aber eher ein
Hindernis, das obendrein nicht mal perfekt zur Spielfläche passt. Darüber
hinaus sind die Völker weit davon entfernt, ausgeglichen zu sein. Entsprechend liegen
sogar Anpassungen bei, online erscheinen ständig neue Versionen. Da fühlt man
sich schon ein wenig wie ein Beta-Tester. Noch schlimmer sind die
Gobelin-Karten. Manche sind annähernd nutzlos, andere spülen haufenweise Punkte
aufs Konto. Fair ist etwas anderes. Zuletzt mag das unterschiedliche Spielende
zwar spannend klingen. Wer aber seinen Mitspielern schon mal 30 Minuten (oder
mehr) beim Punkte sammeln zugeschaut hat, der wird seine Meinung diesbezüglich schnell
ändern. Und das bei einem Spiel, das sowieso schon die eine oder andere Stunde
dauert. Keine Frage, so ein Spiel kann nicht besonders viel taugen und wird
wohl kaum erneut auf den Tisch kommen…
… Sollte man denken. Dann
stellt sich allerdings die Frage, warum Tapestry bei mir zu den meistgespielten
Spielen des vergangenen Jahres gehört. Nun, am Ende lässt sich das Spielgefühl
dann eben doch nicht nur an ein paar Kritikpunkten festmachen. Und das
Spielgefühl von Tapestry ist wirklich ein ganz Besonderes. Obwohl es „nur“ vier
verschiedene Leisten gibt, entwickelt sich jede Partie grundverschieden. Das
Optimum aus jedem Volk herauszuholen ist stets eine neue Herausforderung.
Anders als bei vielen Eurogames fühlt sich hier zudem überhaupt nichts trocken
an. Jede gezogene Karte, jeder Schritt auf der Skala und jeder Würfelwurf weckt
Emotionen. Dabei sind die einzelnen Elemente perfekt miteinander verzahnt und
bieten schier unendliche Möglichkeiten. Die Vorfreude darauf was passieren
kann, die Spannung welche Wendungen das Spiel diesmal nimmt, sind auch nach
dutzenden Partien noch immer zu spüren. Klar gibt es Frustmomente, nichts passt
oder die Wartezeit dehnt sich einfach endlos aus. Und doch will man direkt
wieder neu starten, zu groß ist die Verlockung und die Frage, was das Schicksal
diesmal bereithält. Und ganz ehrlich: Schlussendlich ist es genau das, was uns
immer wieder an den Tisch lockt.
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