Iron Man, Spiderman, Ultron…
in den vergangenen Jahren dürfte es fast unmöglich gewesen sein, nicht hin und
wieder etwas von Marvels Kino-Universum mitzubekommen. Und ich oute mich an
dieser Stelle auch gerne: Ich bin großer Fan der Filme. Allerdings: Ich bin
auch großer Fan der Comics, die mit den Filmen nicht immer besonders viel
gemeinsam haben. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass Asmodee
ursprünglich darauf verzichtet hat, Marvel Champions (M. Boggs, N. French &
C. Grace) auf Deutsch zu veröffentlichen. Denn das Spiel orientiert sich an den
Comics. Wer „nur“ die Filme kennt, wird bereits in der Basisbox auf einige
unbekannte Bösewichte und Charaktere treffen.
Die Qual der Wahl
Die Aufgabe in Marvel
Champions dürfte jedem Comic-Leser bekannt vorkommen: Ein verrückter Schurke
verfolgt einen finsteren Plan, die edlen Recken versuchen ihn aufzuhalten. Die
üblen Bösewichte, das sind in diesem Fall Rhino, Klaw und Ultron. Als edle
Recken stehen Captain Marvel, She-Hulk, Spiderman, Black Panther und Iron-Man
zur Wahl. Doch ist es bei Marvel Champions nicht allein mit der Wahl des Schurken
und eines Helden pro Spieler getan, die alle in Form eines Kartendecks
vorliegen. Vielmehr wird jedes Deck durch weitere Karten ergänzt. So bekommen
die Gegner Unterstützung durch Bombenleger, die Masters of Evil oder Modok. Die
Helden ergänzen ihr Deck mit neutralen Karten sowie denen eines Aspekts
(Gerechtigkeit, Aggression, Schutz oder Führung), um die eigenen Stärken zu
betonen oder Schwächen auszugleichen.
Helden oder Alter-Ego
Sind alle Decks erstellt,
beginnen die Helden die Schlacht. Und hier wird direkt eine Besonderheit
sichtbar. Denn wir starten eben nicht mit Iron Man oder She-Hulk, sondern mit
Tony Stark und Jennifer Walters. Während der Partie wechseln wir ständig unsere
Rollen, schwanken zwischen aggressivem und ruhigem Vorgehen. Um den Gefahren zu
begegnen, steht uns unser Kartendeck zur Verfügung. Darin finden wir kurzfristige
Aktionen, Ausrüstung und sogar mächtige Verbündete. Als Kosten müssen wir stets
andere Handkarten abwerfen. Welcher Teil von Black Panthers Ausrüstung ist
wichtiger? Die Angriffskarte lieber spielen oder als Ressource nutzen und einen
Mitstreiter in die Schlacht werfen? Selten sind die Entscheidungen
offensichtlich, was fast immer zu einer spannenden Zwickmühle führt.
Der Schurke wehrt sich
Natürlich lassen sich
weder Rhino noch Ultron die ständigen Angriffe der Helden gefallen. Nach
unserem Zug schlägt die Gegenseite zurück. Je nachdem ob wir uns zum Kampf
stellen oder lieber als Alter-Ego unauffällig bleiben, werden wir angegriffen
oder der Plan des Schurken schreitet schneller voran. Hier die richtige Balance
zu finden ist entscheidend für den Sieg. Denn wenn der Plan gelingt, hat das
stets dramatische Konsequenzen für uns. Zu viel Schaden sollten wir aber besser
auch nicht riskieren. Obendrein werden zum Abschluss der Runde stets noch Begegnungskarten
gezogen, die mit fiesen Überraschungen aufwarten. So wird Rhinos Angriff noch
verheerender oder Ultron schickt zusätzliche Drohnen in die Schlacht. Ein
Chaos, das einem Marvel-Comic in nichts nachsteht.
Fazit
Ich beginne das Fazit
heute einmal mit den negativen Punkten. Schließlich beginnen auch die meisten
Comics mit Problemen für die Helden, mit unüberwindlichen Hindernissen und
starken Gegnern, nur um am Ende dann doch… aber beginnen wir von vorne. Oder
genauer: Mit dem Öffnen der Schachtel. Denn hier wartet bereits die erste
negative Überraschung. Und damit meine ich nicht, dass die Schachtel viel Luft
enthält. Das ist OK, schließlich müssen ja noch die Erweiterungen Platz finden.
Was mich aber wirklich stört, ist das Fehlen von Kartentrennern. Die Karten
lassen sich eigentlich nur in Zip-Tüten oder im Selbstbau sinnvoll lagern,
selbst Schaumstoffblöcke fehlen. Das geht gar nicht.
Die nächste Überraschung
folgt nach ein paar Partien, die dank vorgefertigter Decks schnell von der Hand
gehen. Denn von ernsthaftem Deckbau sind wir hier meilenweit entfernt. Genau
genommen sind nicht mal genug Karten enthalten, um alle fünf Helden
gleichzeitig am Start zu haben. Entsprechend beschränkt sich der Deckbau im
Wesentlichen darauf, jeden Helden mal mit den Aggressions-Karten, mal mit
Verteidigung oder als Anführer zu spielen. Mehr ist anfänglich nicht drin.
Natürlich bietet das dennoch schon einiges an Abwechslung. Insbesondere, wenn
man es mit den Bösewichten vergleicht. Drei an der Zahl ist nicht gerade
happig, auch wenn sie sich doch recht unterschiedlich spielen. Ein wenig mehr
Abwechslung wäre schön gewesen. Zuletzt kann es sich auch spielerisch teilweise
etwas ziehen. Dabei ist die Anfangsphase zumeist sehr spannend, am Ende kann
das Aktivieren all der ausgespielten Karten aber schon mal etwas länger dauern.
Zudem gibt es Phasen, in denen sich Schurke und Helden fast negieren und
rundenlang kaum etwas passiert. Entsprechend spiele ich Marvel Champions auch maximal
zu dritt, in Vollbesetzung empfinde ich den Leerlauf als zu lang.
Ihr gehört bestimmt zu
denjenigen, die bei Comics zuerst das Ende lesen und bei Rezensionen direkt zur
Wertungsbox springen. Nun, dann dürfte euch schon aufgefallen sein, dass ich
Marvel Champions, all der Schwächen zum Trotz, wirklich gerne spiele. Und das
liegt eben nichts zuletzt am Thema. Mir macht es einfach deutlich mehr Spaß mit
Spiderman auf Rhino einzuprügeln als mit generischen Charakteren. Wenn ich Luke
Cage als Verstärkung rufe und mit Black Panther „Wakanda über Alles!“
ausspiele, laufen in meinem inneren Auge direkt entsprechende Szenen aus
Filmen, Serien und Comics ab. Wenn ihr damit nicht viel anfangen könnte, verliert
Marvel Champions wohl direkt spürbar an Reiz.
Doch auch abseits vom
Thema bietet das Spiel so Einiges. Insbesondere sind hier die sehr
individuellen Charaktere und Schurken zu nennen. Während Spiderman vom Fleck
weg effektiv ist, muss Iron-Man erst einmal mehrere Runden an seiner Rüstung
basteln. Während Black Panther ein effektiver Blocker ist, teilt She-Hulk
ordentlich Schaden aus. Und genau das lädt auch zu kooperativem Vorgehen ein.
Denn das gemeinsame Agieren beschränkt sich eben nicht nur darauf, dem
Bösewicht zusammen Schaden zuzufügen. Vielmehr hat jeder seine Aufgaben, kann
sich bei einem Angriff vor den Verbündeten werfen oder Karten für die
Mitstreiter nutzen. Dass jeder Schurke ein anderes Vorgehen verlangt, sorgt für
zusätzlichen Widerspielreiz.
Keine Frage, Marvel
Champions hat seine Schwächen. Und es ist offensichtlich, dass die Basisbox nur
als Anfang gedacht ist. Denn auch wenn hier schon viel Spaß drinsteckt, wird
man über kurz oder lang zu den Erweiterungen greifen. Solange ich mit so viel
Spaß bei der Sache bin stören mich die Schwächen aber wenig und ich freue mich
schon darauf, mit weiteren Helden in die Schlacht zu stürmen.
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