Montag, 9. Januar 2017

First Class



Man hört ja immer und überall von diesen romantischen Zugfahrten. Jenen Fahrten mit klassischen Loks, vorbei an einer idyllischen Landschaft und voll kulinarischer Genüsse. Und irgendwie will ich ja auch glauben, dass es so etwas gibt. Allein, wer viele Jahre tagtäglich mit dem deutschen Pendant unterwegs ist, der kennt nur Gelenkschmerzen, wüstes Geschrei und kulinarische Totalausfälle. Wie schön also, dass Helmut Ohley mir nun endlich zeigt, dass eine Reise First Class (Hans im Glück) wirklich beeindruckend sein kann.

Nicht zuletzt aufgrund des Autors und des Themas wurde First Class bereits vor seinem Erscheinen als „Russian Railroads - Das Kartenspiel“ tituliert. Und auch wenn diese Bezeichnung durchaus einiges an Wahrheit enthält, bietet das fertige Spiel doch so viel mehr.


 
Unsere Züge
Wie es sich für ein Spiel von Helmut Ohley gehört, dreht sich auch hier mal wieder alles um Züge. Gleich zwei davon bekommt jeder Spieler, auch wenn diese anfänglich noch etwas mickrig aussehen. Gerade einmal ein minderwertiger Waggon pro Zug wird dazu rechts an unser Tableau angelegt. Diese zu Verlängern und die Qualität der Waggons zu steigern ist eines unserer möglichen Ziele. Denn nur echte Luxuswaggons versprechen einen wahren Punkteregen und ausschließlich besonders lange Züge erreichen das lukrative Konstantinopel. Doch auch die Schaffner sollten wir darüber nicht vergessen. Denn nur wenn sie den Zug entlangwandern wirft dieser am Ende ordentlich Punkte ab. 


Unsere Fahrstrecke
Eigentlich bietet bereits der Zugausbau mehr als genug Arbeit um uns für einige Zeit zu beschäftigen. Sollte man meinen. Aber nein, auf dem Tableau befindet sich obendrein auch noch eine kleine Miniaturlok, die nur darauf wartet über Streckenkarten bewegt zu werden um Punkte und Boni zu sammeln. Streckenkarten, so viel versteht sich fast von selbst, die natürlich wiederum erst einmal besorgt werden wollen. Noch nicht einmal etwas Geld bekommen wir für all die Mühen. Nein, all die Frances müssen wir auch noch selbst einsammeln und auf unser Tableau legen. Immerhin können wir diese dann für allerlei nützliche Funktionen nutzen und etwa den Schaffner bewegen oder die Lock weiterfahren lassen.


Die Auswahl
So, genug zu tun haben wir damit also schon einmal. Bleibt die Frage, wie wir das alles in der kurzen Zeit schaffen. Denn eigentlich spielen wir ja nur sechs Durchgänge mit jeweils drei Aktionen (Karten). Die Antwort: Gar nicht. Denn bei First Class ist Spezialisieren angesagt. Die uns gegebenen Möglichkeiten liegen dabei stets in Form von (anfänglich) 18 Karten vor uns aus. Unsere Aktion besteht stets nur daraus, eine dieser Karten zu nehmen und auszuführen. Natürlich werden die Karten im Laufe des Spiels stärker und damit spannender, im Wesentlichen ändert sich an diesem Vorgehen aber nichts. Was genau ist also auf diesen Karten zu finden? Wenig überraschend all das, was ich bereits oben kurz angesprochen habe. Ihr könnt den Zug verlängern, Waggons ausbauen oder der Schaffner bewegen. Geld kann gesammelt werden, Strecken verlängert oder die Lock bewegt. All das natürlich noch in verschiedenen Abstufungen und Kombinationen. Für Abwechslung ist also gesorgt.


Die Punkte
Dreimal im Spiel (nach jeweils sechs Karten) wird euer Fortschritt überprüft und Punkte ausgeschüttet. Wobei, zuerst einmal gibt es einige Sondereffekte. Denn jedes Sonderfeld dass euer Zug bisher auf seiner Route überschritten hat, bietet nun eine Belohnung in Form von Extrabewegungen, Waggons oder Ähnlichem. Erst danach gibt es Punkte. Und dabei lohnt sich insbesondere ein gut ausgebauter Zug, punktet doch jeder Waggon der vom Schaffner passiert wurde gemäß seines Wertes. Zusätzliche Sonderkarten, die natürlich auch hier einen Einfluss haben, verschweige ich an dieser Stelle einfach mal. Und als würde das noch nicht ausreichen, werden nach der dritten Runde auch noch Spielende-Karten ausgewertet, die wir unterwegs sammeln konnten. Diese bringen Punkte für verschiedene Karten, womit etwa gesammelte Schaffner oder Lok-Bewegungen am Ende noch einmal richtig lukrativ werden können.
  
Die Module
In den meisten Spielen würde ich die Erklärung an dieser Stelle beenden. Genug zu tun gibt es ja schon jetzt und wahrscheinlich hat sowieso niemand bis hierhin gelesen. Der Vollständigkeit halber sollte aber vielleicht noch erwähnt werden, dass ich den wesentlichen Teil von First Class bislang komplett unterschlagen habe. Denn dem Spiel liegen insgesamt fünf Sets an Modulkarten bei. Von diesen werden in jeder Partie zwei Sets zu den Basiskarten gemischt und bilden damit die stets unterschiedliche Auslage. So bieten etwa manche Sets Aufträge, die bei Erfüllung besonders lukrative Belohnungen versprechen. Andere Sets machen Waggons mittels prominenten Passagieren lukrativer oder ermöglichen den Transport von Gepäck und Passagieren für Siegpunkte oder Geld. Zuletzt wartet sogar ein waschechter Mord und dessen Aufklärung auf uns. Und das Schlimmste: Einer von uns ist der Täter. Und wenn wir der Tat überführt werden, helfen auch alle Siegpunkte der Welt nichts mehr…


Fazit
Das First Class kein spielerisches Leichtgewicht ist, das sollte bereits aus obiger Beschreibung hervorgegangen sein. Und daran ändert auch nichts, dass es sich im Kern eigentlich um ein reines Kartenspiel handelt. Das Besondere allerdings ist, dass es trotz der vielfältigen Optionen überraschend einfach zu erlernen ist. Im Grunde nehmen wir jede Runde nur eine Karte und führen die Aktion aus. Ab und an wird für eine Wertung unterbrochen und nach rund 60 Minuten (bei vier Spielern) sind wir durch. Da kommt kein Leerlauf auf, keine Wartezeiten und schon erst recht keine Langeweile. Selbst ohne die Module bietet First Class reichlich Abwechslung, mit den Modulen gibt es auch nach einem Dutzend Partien noch reichlich zu entdecken. Ihr seht schon, First Class hat es mir wirklich angetan. Dass ein Spiel einerseits so eingängig und andererseits so vielfältig ist, das ist aber auch aller Ehren wert.

Natürlich habe ich aber auch bei First Class dennoch etwas zu meckern. Und zwar zum einen die Karten und deren Symbolik. Diese fällt häufig doch etwas klein und überladen aus, was allerdings wohl dem (bereits jetzt recht großen) Platzbedarf geschuldet sein dürfte. In dieser Form kommt es aber in den ersten Partien immer mal wieder vor, dass über Symbole gegrübelt wird oder Unsicherheiten aufkommen. Darüber hinaus konnte uns das Mord-Modul absolut nicht überzeugen. Dass ein Spieler schlicht aus der Wertung ausscheidet ist doch etwas zu extrem und funktioniert zu zweit schlicht überhaupt nicht. Zum Glück bleiben ja noch vier weitere Module. Und mit diesen gehört First Class für mich zu den absoluten Highlights der vergangenen Monate.




4 Kommentare:

  1. Die kleinen Karten haben mich auch sehr enttäuscht,
    weil die Atmosphäre,
    die diese (Waggon-)Karten durch ihre tollen, Geschichten erzählenden Bilder verbreiten KÖNNTEN,
    durch die Winzigkeit der Darstellungen überhaupt nicht zur Geltung kommt.

    Grund für die Winzigkeit der Karten ist - wie Du schon geschrieben hast - sicher die Gesamtzahl an ausliegenden Karten und der damit verbundene Platzbedarf.
    Trotzdem schade.

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    1. @Daniel:

      Kleine Rechnung: Normalkartenbreite ist 59mm. Bei FirstClass liegen typischerweise rechts 9 Karten, links 133-6. Macht bei Verwendung von Normalkartenformat einen Platzbedarf von mehr als 75cm nur für Karten. Dazu kommen dann noch Basetableau, Lok-Kärtchen. Macht eine Auslage von locker 80-90 cm pro Nase. Und Abstand zum Nachbarspieler braucht man auch noch. Vom Platzbedarf für die Auslage in der Mitte mal ganz abgesehen. Auf welchem Tisch willst du das mit vier Personen spielen? :-D

      Fakt ist: Selbst mit den kleinen Karten braucht FirstClass auf einem normalen Tisch schon grenzwertig viel Platz. Größere Karten würden jede Praktikabilität zerstören.

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    2. Tippfehler oben: Muss natürlich 3-6 heißen ...

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  2. Eigentlich finde ich so kleine Karten gar nicht weiter schlimm. In diesem Fall sind sie aber obendrein etwas (zu) überladen. Ist aber schon Jammern auf hohem Niveau.

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