Im Jahr 850 n. Chr. wollen
wir unseren König beeindrucken indem wir Lehrlinge anheuern, Ressourcen sammeln
und damit Gebäude errichten. Viel beliebiger kann ein Brettspielthema eigentlich
kaum sein. Dennoch habe ich mich auf Architekten des Westfrankenreichs
(Schwerkraft) gefreut. Denn der Autor Shem Phillips hat bereits mit Räuber der
Nordsee bewiesen, dass er ein Gefühl für Worker-Placement-Spiele mit einem
besonderen Kniff hat.
Klassischer
Arbeiter-Einsatz?
Auf den ersten Blick
bietet Architekten des Westfrankreichs tatsächlich wenig Neues. Weite Strecken
des Spiels bestehen aus klassischem Arbeiter-Einsatz. Wir nutzen also unsere Figuren
um auf Aktionsfeldern Erträge zu erwirtschaften. Zumeist handelt es sich dabei
um verschiedene Ressourcen, aber auch Lehrlinge mit hilfreichen
Sonderfähigkeiten können wir erwerben. All dies dient dem Bau von Gebäuden oder
der Kathedrale. Denn einerseits sind diese ein wesentlicher Quell für
Siegpunkte, andererseits sammeln wir so weitere Boni. Bis hierhin also alles
wie gewohnt.
Viel
Hilft viel… und lockt Neider
Dass aber etwas nicht
gänzlich mit rechten Dingen zugeht, das erkennt der erfahrene Spieler bereits
an der Zahl der Arbeiter. Ganze 20 davon hat jeder Spieler zu Beginn. Der
Vorteil: Mit jedem eigenen Arbeiter steigt der Ertrag des entsprechenden
Aktionsfeldes. So sammeln wir urplötzlich riesige Berge an Stein oder haben
eine deutliche größere Auswahl bei den Lehrlingen. Damit genau das aber nicht
ausartet, gibt es ein weiteres Aktionsfeld: Den Marktplatz. Wer hier eine Figur
einsetzt, der darf gegnerisches Personal gefangen nehmen und auf dem eigenen
Tableau absetzen. Einerseits schwächt dies die Aktionen des Mitspielers,
andererseits dürfen wir die Gefangenen in einem späteren Zug im Gefängnis
abliefern und sammeln dafür sogar noch Geld ein.
Auf
der anderen Seite des Gesetzes
Das Gefängnis ist dabei
nicht ganz so fürchterlich wie es klingt, erfreulich ist ein Besuch aber
natürlich nicht. Zum einen muss das eigene Personal über kurz der lang teuer
ausgelöst werden. Zum anderen verlieren wir Punkte auf der Tugendleiste und
damit am Ende Siegpunkte. Und doch gibt es sogar die Möglichkeit, sich auf die
dunklere Seite des Gesetzes zu schlagen. Denn wer wenig Tugend hat, hinterzieht
auch gerne mal Steuern und spart damit Kosten. Oder man Besucht den
Schwarzmarkt, wo neue Waren mit wenig Aufwand zu bekommen sind. Leider kommt
dies nicht ohne Quittung. Denn abgesehen von den Minuspunkten ist dem Gesetzlosen
auch der lukrative Bau an der Kathedrale verwehrt. Und, da wird es wieder
klassisch, am Ende zählen eben doch wieder nur die Punkte.
Shem Phillips gelingt es mit Architekten des Westfrankereichs einmal mehr, dem klassischen Arbeitereinsatz eine neue Note zu verpassen. Zwar werden sich erfahrene Spieler sehr schnell heimisch fühlen, dennoch gibt es Einiges zu entdecken. Die Vielzahl an Gebäuden und Helfern sorgen dabei ebenso für Abwechslung wie (auf Wunsch) unterschiedliche Startbedingungen. Der besondere Kniff ist aber, ganz klar, die Gefangennahme gegnerischer Arbeiter. Anders als in vergleichbaren Werken gibt es kaum Konkurrenz um die Einsetzfelder. Die Interaktion kommt stattdessen über das Einkassieren des Personals. Das richtige Timing zu treffen ist dabei eine Herausforderung und will geübt sein. Richtig angewandt ist aber ein ordentlicher Erlös und Druck beim Mitspieler möglich. Selbst das gefangen nehmen eigener Leute kann mitunter nötig werden, um wieder an Nachschub an Arbeitern zu kommen.
Zugleich kann aber auch genau jener spannende neue Mechanismus zum Problem werden. So habe ich Runden erlebt, in denen so gut wie nie jemand gefangen genommen wurde. Das Spiel verliert dann deutlich an Reiz und geht auch viel zu schnell. In diesen Fällen bleibt ein klassisches und deutlich weniger spannendes Spiel. Andererseits ist es extrem inneffektiv, wenn zu früh gefangen genommen wird. Hier den falschen Moment zu wählen kann, wenn der Ertrag in keinem Verhältnis zum Aufwand steht, durchaus zu Frust führen. Dennoch überzeugt das Prinzip und bietet, etwas Übung vorausgesetzt, eine spannende Spielerfahrung.
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