Geschrieben von Christoph Schlewinski
Bei
mir stapeln sich Spiele, Bücher und DVD’s. Auch mal gerne Papiere, was dann zu
einer sehr wackeligen Angelegenheit werden kann. Aber ich bin selten bis gar
nicht auf die Idee gekommen, meine Freunde übereinander zu stapeln. Dabei gibt
es Orte, wo man das tut. Im Süden Spaniens zum Beispiel. Da ist das ein
Riesending, menschliche Pyramiden zu bilden. Aber will man das in seiner
Wohnung haben? Nööö… höchstens am Spieltisch. Mit Castell (Aaron Vanderbeek)
vom Schwerkraft Verlag.
Am Anfang kann man nix
Und
zwar absolut NICHTS! Man zieht zwar Personenplättchen und kann eine
„menschliche“ Pyramide bauen, aber die kommt nicht weit bzw. hoch. Die Zahlen
auf den Plättchen müssen von Reihe zu Reihe kleiner werden, jede Reihe muss
weniger Plättchen haben, als die darunter, in einer Reihe dürfen nur Plättchen
derselben Zahl liegen und eine Reihe darf nicht breiter als drei Plättchen
sein. Baut man sich so eine Pyramide zusammen kommt man nur drei Ebenen noch.
Das ist viel zu klein, denn die Festivals, die ab Runde drei stattfinden und
bei denen wir Siegpunkte holen wollen, fordern nicht nur eine Mindesthöhe von
vier, sondern auch noch Plättchen einer oder mehrerer bestimmter Zahlen. Dazu können
wir noch Aufgaben nebenbei erledigen, die eine bestimmte Form unserer menschlichen
Pyramide oder besondere Bedingungen erwarten, damit wir sie abgreifen und deren
Siegpunkte einsacken können.
Lernen, lernen und noch
mal lernen
Damit
man aus diesem Dilemma herauskommt, kann man in seinem Zug nicht nur in andere
Provinzen des Spielplans reisen und neue Menschenplättchen einsammeln, man kann
sich auch weiterbilden. Je nachdem, wo wir uns befinden und was das
Fähigkeitenrad gerade anzeigt, können wir neue Fähigkeiten lernen. So darf die
eigene Pyramide in Zukunft mehr als drei Plättchen pro Reihe haben. Oder die
unterste Reihe beliebig breit sein darf. Oder es dürfen unterschiedliche Zahlen
in einer Reihe liegen. Man kann lernen, dass die Zahlen nach oben hin nicht
kleiner werden müssen oder auch, dass nicht immer weniger Plättchen auf der
nächsten Reihe liegen müssen. All diese Fähigkeiten kann man fünf Mal erweitern
um ihre Effektivität zu steigern. Habe ich also die Breite auf Stufe fünf, darf
meine Pyramide maximal acht Plättchen breit sein (drei für die Grundpyramide
und fünf für die erlernte Stufe). Hat man dazu noch „Balancieren“ gelernt, kann
man mehrere Reihen mit acht Plättchen bauen, die mit „Stärke“ auch durchaus
gleichgroße oder größere Plättchen tragen können… WOW… Mein Gehirn rotiert.
Gehirnschmalz Deluxe
Wie
man sieht: Bei „Castell“ wird gedacht und probiert und gebastelt. Dass jeder
Spieler sieben Chips für Sonderaktionen hat, mit denen man nicht nur zusätzlich
reisen, lernen und Menschen nehmen, sondern auch die oben schon erwähnten
Sonderaufgaben erfüllen kann, legt noch eine zusätzliche Denkschaufel oben
drauf. Man hat nur 10 Runden, um möglichst viel zu erreichen. Zumal man, um
Punkte bei den Festivals machen zu können, zu einem bestimmten Ort auf der
Karte reisen muss. Also heißt es Runde um Runde: Planen, planen und noch mehr
planen. Auch schon für mehrere Runden im Voraus. Der Gehirnkalorienverbrauch
steigt immens.
Bei
„Castell“ gäbe es noch einiges, was beachtenswert wäre. Aber ich picke nur
eines heraus: Wenn man am Ende einer Runde am Ort eines Festivals steht und an
dem auch teilnehmen darf (weil die eigene Pyramide vier Ebenen oder höher ist
und man alle benötigten Zahlen eingebaut hat), gibt’s Punkte. Beim nächsten
Festival werden die Punkte aber nicht einfach addiert. Der Siegpunktmarker
steigt nur, wenn die neue Pyramide mehr Punkte bringt. Mach ich mit meiner
ersten Pyramide 11 Punkte und mit der nächsten nur neun, bleibt er bei 11
stehen. Mach ich dann 17 Punkte, geht mein Marker auf die 17.
Fazit
Was
sofort alle am Tisch neugierig hochschauen lässt: das Thema. Kein Rom, kein
Mittelalter, kein Fantasyzeug, nein. Menschen stapeln, das ist mal etwas
anderes. Die Bereitschaft, sich auf „Castell“ einzulassen, ist anfangs sehr
groß, danach können sich die Meinungen aber spalten. „Castell“ braucht eine
bestimmte Denke, damit man hier weiterkommt, eine bestimmte Bereitschaft,
langfristig zu planen, aber auch den Bauch entscheiden zu lassen. „Castell“ ist
vor allem ein Puzzlespiel, bei dem man die eigene Pyramide nach jedem neuen
Plättchen und jeder neuen Fertigkeit neu zusammensetzt. Normalerweise ist so etwas
überhaupt nicht mein Ding. Aber bei „Castell“ fällt es mir nicht schwer, diese
Menge an Gedankenspielen durchzugehen. Und das liegt eben am Thema. Es ist
interessant, organisch und logisch, die großen Zahlen nach unten, die kleinen
nach oben, kann ich gut balancieren können gleichviele Plättchen übereinander
sein und und und. Alles ist perfekt auf das Thema abgestimmt und ich könnte mir
auch kein Anderes mit diesem Spielsystem vorstellen.
Wenn
man sich hier über etwas beschweren will, dann, dass zu viel drin ist. Die
Zusatzaufgaben zum Beispiel. Da hätte man es durchaus bei der Form der Pyramide
belassen können, die man erfüllen soll. Und nicht noch Aufgaben reinbringen,
die bestimmte Fertigkeiten auf bestimmten Stufen verlangen. Oder, dass man
Sonderpunkte bekommt, wenn man in vielen Regionen aktiv war. Ein paar Dinge
raus und „Castell“ wäre flüssiger, griffiger und würde die Mitspielerschar
nicht so spalten.
Trotzdem
ist es in der vorliegenden Fassung ein unbedingt empfehlenswertes Spiel und ich
finde es schade, dass es so unter dem Radar fliegt, wie im Moment. Es hätte auf
Grund seiner eleganten Komposition wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient.
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