Die
eierlegende Wollmilchsau des Fantasy
Es ist wieder diese Zeit im Jahr.
Ganz Spiele-Deutschland schaut auf die Nominierungsliste zum Spiel des Jahres,
diskutiert, postet und blogt. Spiele die über verständliche Regeln, ein
eingängiges Spielgefühl sowie ein gerüttelt Maß Familientauglichkeit verfügen
sind in aller Munde. Im laufenden Jahr dauert keines der drei für den
Hauptpreis nominierten Spiele länger als 30 Minuten. Als leidensgewillter
Vielspieler muss man sich da fast zwangsweise auf das Kennerspiel stürzen. Doch
auch hier setzt die Jury auf Eingängigkeit. Ob Andor mit seinen Losspielregeln
oder Carrara mit extra Mini-Erweiterung nach einigen Partien. Überall wird Wert
auf einfach Regeln und einen schnellen Einstieg gelegt. Um diesem
Rosa-Ponyhof-Gefühl zu entgehen präsentiere ich euch Heute ein Spiel dessen
Regeln einen Umfang und eine Komplexität aufweisen, dass sie bei der Spiel des
Jahres-Jury mit Sicherheit für einige graue Haare sorgen würden.
In Mage Knight (Vlaada Chvátil /
Pegasus) verkörpert jeder der 1 bis 4 Spieler einen der namensgebenden
Magier-Ritter, quasi die eierlegende Wollmilchsau des Fantasy. Was dabei ein
übermächtiger Held sein will, der gibt sich natürlich nicht mit schnöden Drachen
und Dämonen zufrieden sondern will am Ende gleich ganze Städte brennen sehen.
Dies erreichen wir über ein Kartendeck welches unserem Recken Leben einhaucht.
Ob wir dabei nebeneinander, gegeneinander oder gänzlich miteinander vorgehen
lässt uns das Spiel mit seinen umfangreichen Szenarien komplett frei.
Deckbau trifft
Dungeon-Crawler
Zu Beginn besteht unser Held aus
nicht viel mehr als einem Deck aus 16 Karten sowie einer Figur welche auf dem
Startfeld des Spielplans platziert wird. Um unsere Fähigkeiten auszubauen und
auch mächtigen Monstrositäten gewachsen zu sein gilt es nun, das verfügbare
Kartendeck möglichst effektiv zu nutzen. Denn jede Runde ergänzen wir unsere
Hand auf (anfänglich) 5 Karten um mit diesen alle denkbaren Aktionen durchzuführen.
Die Möglichkeiten reichen dabei von simpler Bewegung über Heilung bis hin zu Nahkampf,
Belagerung oder Rekrutierung. Jede Runde kombinieren wir mehrere dieser Karten
zu einem Zug der zumeist aus Bewegung und einer Aktion (häufig Kampf) besteht.
Je nach verfügbaren Karten ziehen wir mit unserem Recken über die Landkarte,
entdecken neue Gebiete oder lösen Ereignisse (Kampf, Dorfbesuche, Klöster
abbrennen, etc.) aus. Das folgende Ereignis wird dabei wiederrum über Karten
geregelt. Kommt es etwa zum Kampf, so will der Gegner (sofern nicht im
Fernkampf besiegt) zuerst geblockt und dann mittels Angriffskarten vernichtet
werden.
Variation
Unterscheiden sich die Helden zu
Spielbeginn in nur einer einzigen ihrer 16 Startkarten ändert sich dies im
Laufe des Spiels deutlich. Denn fast alle Aktionen die wir im Spielverlauf
ausführen belohnen uns auf die eine oder andere Weise. Der Kampf gegen Monster
etwa liefert uns Erfahrungspunkte und damit regelmäßig neue und bessere Karten
für unser Deck oder (heldenabhängige) Sonderfähigkeiten. Während uns der Besuch
eines Magierturms Zaubersprüche lehrt (weitere Karten für das Deck) kann man
unter dem Kloster mächtige Artefakte erobern welche (Überraschung) ebenfalls
direkt in das Kartendeck wandern. Auf diese Art und Weiße kommen wir ständig an
bessere (und einzigartige) Karten, vergrößern unsere Fähigkeiten und können uns
sogar (bei geschickter Kartenwahl) auf einzelne Bereiche spezialisieren. Da das
Kartendeck in einer Partie 4- bis 6-mal durchgespielt und dabei stetig
mächtiger wird, sind wir schlussendlich tatsächlich in der Lage ganze Städte
anzugehen. Karten die nicht direkt in unser Deck wandern sind zwar die
Ausnahme, existieren in Form zu rekrutierender Verbündeter allerdings ebenfalls.
Brutale
Drachen mit Frosfeuerangriff und Gift
Was ich hier bislang versucht habe
in aller Kürze darzustellen ist in Wirklichkeit ein komplexes Gebilde. Alleine
die Verwendung der verfügbaren Bewegungspunkte kann schon eine eigene
Rechenaufgabe darstellen, da jedes Feld bei Mage Knight einem spezifischen
Terrain zugeordnet ist. Ist eine Steppe etwa recht einfach zu begehen kostet
das Erklimmen von Hügeln oder das durchwaten von Sümpfen deutlich mehr
Bewegungspunkte. Während Wüsten in der Nacht leicht zu durchwandern sind,
halten sie die Reisenden am Tag lange auf. Wälder wiederum sind bei Nacht
ungleich schwerer zu durchqueren. All dies gilt es mit den Bewegungspunkten die
die verschiedenen Aktionskarten liefern zu berechnen. Noch komplexer spielt
sich der Kampf ab. Haben die ersten Gegner noch maximal 1 oder 2
Sonderfähigkeiten könnten die Spezialangriffe von Drachen und Dämonen ganze
Regelbücher füllen. Feuer- und Eisangriffe, Versteinern, Flinkheit, physische
Immunität, Gift, Brutal,… und und und. Hier jeweils die passenden Optionen
parat zu haben um all diesem zu kontern kann eine echte Herausforderung sein.
Insbesondere da die späteren Karten des eigenen Decks eine ähnliche Vielfalt
bieten die optimiert werden will.
Episches
Puzzle
Was ich bislang verschwiegen habe
ist, dass jede Karte obendrein noch über 2 verschiedene Aktionen verfügt. Eine
davon ist gratis zu verwenden, die andere kostet farblich passendes und
jederzeit knappes Mana. Dies verstärkt die bereits oben erwähnte Komplexität
und das Gefühl, dass Mage Knight sich bisweilen wie ein Puzzle spielt. Viele
Elemente habe ich obendrein gar nicht erst aufgeführt. So liefern
Sonderfähigkeiten der Helden weitere Optionen, Verbündete gilt es sinnvoll zu
nutzen und je nach Szenario ist ein Kampf gegen andere Recken oder gemeinsam
gegen eine Stadt möglich. Neben Klöstern wollen Burgen erobert, Verliese
erkundet und Mienen ausgebeutet werden. Selbst wenn wir uns für eine Art des
Spiels entschieden haben, liefert das Regelbuch kurze oder lange Szenarien,
niedrige oder hohe Schwierigkeitsgrade und eine Spielzeit zwischen 2 und 5
Stunden.
Öffnet man erstmals die Box von Mage
Knight wird man von der Fülle des enthaltenen Materials fast erschlagen.
Karten, Counter, Figuren, Landschaftsplättchen. Die Box ist bis unter den Rand
gefüllt. Nach dem ersten Schock greift man wie gewohnt zur Regel um all dem
einen Sinn zu verpassen. Was nach dem ersten Lesen nur sporadisch gelingt. Das
liegt keineswegs an der Qualität der Regel, sondern schlicht am Umfang
derselben. Grundregeln, Sonderregeln, Fähigkeiten, Ausnahmen, Varianten, etc.
Hat man nach 2 bis 3-maligem Lesen das Gefühl alles verstanden zu haben folgt
die erste Partie. Und die Ernüchterung. Die erste Runde ist geprägt von
Spielfehlern, ständigem Nachlesen der Regeln und Wartezeiten. An dieser Stelle
kann man schnell verzweifeln. Hier stellt sich nicht Wenigen die Frage, ob das
Spiel diesen Aufwand wert ist. Die Antwort darauf ist so kurz wie einfach:
Absolut, ja.
Hat man sich einmal durch all die
Regeln, Varianten und Möglichkeiten gequält ist Mage Knight ein Spiel wie es
seinesgleichen sucht. Episch ist dabei der Begriff der mir zuerst in den Sinn
kommt. Selten habe ich bei einem Spiel so mit meinem Helden gefühlt, war am
Ende einer Schlacht so erschöpft und gleichzeitig so stolz auf das erreichte.
Mage Knight ist schwer zu erlernen und die erste korrekte Partie wird mit
Sicherheit einige Anläufe benötigen. Aber es ist jede verwendete Sekunde wert.
"Mage Knight ist schwer zu erlernen und die erste korrekte Partie wird mit Sicherheit einige Anläufe benötigen. Aber es ist jede verwendete Sekunde wert..."
AntwortenLöschenDas trifft es ganz gut. Ich finde es ein bisschen ungerecht, dass es zum Schluss so viele Boni für diverse Leistungen gibt. Mal schauen wie das nach mehreren Spielen so ist, nach dem ersten Spiel würde ich fast annehmen, dass der Gewinner regelmäßig die meisten davon einheimst.
Sehr gute Rezension, danke.
Hallo Thomas
AntwortenLöschenDa hast du durchaus recht, am Ende sammelte bei mir auch fast immer ein Spieler die meisten Boni. Andererseits hatte das zur Folge, dass wir häufig gar nicht mehr gezählt haben (das Ergebnis war eh klar).
Inzwischen spielen wir aber fast nur noch kooperativ, da fällt die Zählerei komplett weg.